Montag, 30. März 2009

Dritte Nachricht aus dem Dschungel

Seit zwei Monaten sind hier, in Paraguay Sommerferien. Obwohl das Treiben auf dem Markt weitergeht, ist im Haus der Spiritaner nicht mehr viel los. Die vier im Haus wohnenden Seminaristen und Philosophiestudenten, sind nach Hause zu ihren Familien gefahren. Die Gruppe Gotas de Amor („Tropfen der Liebe“), die das Essen für die Kinder auf dem Markt organisiert, hat eine Sommerpause eingelegt.

Es gibt in Guarani, der indigenen “Ursprache” Paraguays den Ausdruck “kaigue”. Dieser bedeutet: sich “fix und fertig” fühlen und keine Lust zu gar nichts haben, ist aber von Müdigkeit klar zu unterscheiden. Den Begriff konnte ich als Europäer nicht zuordnen und war versucht die Aussage “che kaigue” (Ich “kaigue”) als “Ich bin faul” einzuordnen. Inzwischen kann ich den Begriff "kaigue" besser verstehen. Nur ob ich darüber froh sein soll, weiß ich noch nicht. Denn die paraguayische Sommerhitze sorgt dafür, dass auch ich mich “kaigue” fühle. In meiner Schule gab es Hitzefrei, wenn die Temperatur um 10 Uhr morgens über 25 Grad lag, soweit ich mich entsinne. In Paraguay gibt es einen frischen Sommertag, wenn die Temperatur um 5 Uhr, vor Sonnenaufgang, unter 26 Grad liegt.
Die Lösung: Siesta halten, Terere trinken und sich “kaigue” fühlen.

Terere ist die Sommervariante von Mate, dem paraguaischen Nationalgetränk (siehe Rundbrief Nr. 2). Der Grundstoff ist der selbe: Yerba Mate. Man trinkt auch hier mit einem Strohhalm aus einem Becher und giest aus einer Thermoskanne immer wieder Wasser in den Becher, der ziemlich voll mit Yerba ist. Der Unterschied: Für Terere ist das Wasser möglichst kalt. Die Thermoskannen sind aus Plastik, viel größer und in ihrem Inneren bollern Eisbrocken. Außerdem werden dem Terere oft noch Kräutermischungen beigesetzt, um ihn erfrischender zu machen. Wenn möglich kauft man die Kräuter frisch bei einer Händlerin irgendwo an der Straße. Damit sich die Aromen besser entfalten, wird die Mischung von der „Kräuterhexe“ auch sofort
tereregerecht zerstampft.

Die Sommerferien habe ich zum Reisen genutzt. Ich habe Claudia und Anja, zwei MaZlerinnen, in Tupiza, Bolivien besucht und habe in Porto Alegre, Brasilien an einem Zwischenseminar teilgenommen. Das Reisen, besonders in die Anden, war eine völlig neue Erfahrung. Es gibt in Südamerika wenige Eisenbahnstrecken und weil Autofahren und Fliegen teuer und deshalb für sehr viele Menschen unerschwinglich ist, bewegt man sich hauptsächlich mit dem Bus.

In den meisten Ländern gibt es ein vorzüglich ausgebautes Fernbusnetz. Ich bin für ca. 40 Euro in nur 34 Stunden (reine Fahrzeit) nach Bolivien gelangt. Auf dem Weg gab es in einigen Bussen warme Mahlzeiten, in vielen wurden Filme gezeigt und in fast allen waren die Sitze so gemütlich, dass ich die meiste Zeit geschlafen habe. Nur in den luftigen Höhen der bolivianischen Anden wurde die Fahrt unbequemer. Man fährt stundenlang über unbefestigte Kiespisten, die manchmal sehr nah an schwindeleregende Abgründe heranführen und alles ohne Leitplanke.

In Tupiza durfte ich den Alltag in der Einsatzstelle meiner Gastgeberinnen, einem Kinderheim, kennen lernen und in einigen Ausflügen die wunderschöne Andenlandschaft bewundern. Dabei habe ich mehr oder weniger schmerzhaft feststellen müssen, dass besonders die Nächte auf über 3000 Metern Höhe kühler sind und die Luft weniger dicht als im sonnigen, flachen Paraguay.

Auch Weihnachten habe ich im Kinderheim in Tupiza verbracht. Es war ein schönes und interessantes Weihnachtsfest. Aber sommerliche Temperaturen und die ganz anderen Bräuche machten es mir zum Glück schwer, in besinnliche Stimmung zu geraten und an die Familie und Weihnachten in Deutschland zu denken.
In Bolivien werden an Weihnachten traditionelle Volkstänze aufgeführt, z.B. das Trenzen. Dabei tanzen Jungen und Mädchen mit bunten Bändern in der Hand um einen Holzstamm herum. Die Bänder sind oben am Holzstamm festgemacht, so dass er aussieht wie ein bunter Maibaum. Durch verschiedene Tanzschritte weben die Tänzer bunte Muster um den Baum.
Die Kinder des Kinderheimes nehmen jedes Jahr zu Weihnachten an einem Krippenwettbewerb teil und haben ihn dieses Jahr mit einer riesigen Krippe, mit “trenzenden” Barbiepuppen, Bergen, Fluss und Brücke das zweite Mal gewonnen.

Der heilige Abend begann mit einem Krippenspiel, darauf folgte die Bescherung und dann sind wir zur Messe gegangen. Die Messe war schön, aber “Stille Nacht” wurde von einer Band mit Schlagzeug gespielt und auch sonst empfand ich die Messe als nicht ganz so weihnachtlich, wie die nur von Kerzen erhellte Kirche in unserer Gemeinde, St Johnnes Baptist in Lübbecke.
Am ersten Weihnachtsfeiertag haben die Kinder vor der Krippe getanzt, zum Mittag gab es ein Festessen und sonst ruhte man sich aus.

Zu Silvester war ich wieder in Paraguay. Immanuel, der nigerianische Priester, hat am ersten Januar Geburtstag und eine große Feier geplant. In seiner Heimat feiert man Geburtstage nicht und deswegen wollte es Immanuel auf seiner ersten Geburtstagsfeier richtig “krachen lassen”. Am Silvesterabend haben wir gemeinsam mit den Spiritanern aus dem Noviziat, einem anderen Haus, das ungefähr eine Stunde entfernt liegt, im Garten gegessen. Dazu habe ich einen "deutschen” Schweinebraten vorbereitet. Als wir uns gemeinsam das Feuerwerk unserer reichen Nachbarn – sie besitzen einen Supermarkt – anschauten, meinte einer: “Schaut wie
das Geld verbrennt.” Und es ist wahr, besonders hier, wo man mit dem Geld für eine Rakete “wer-weiss-was” machen könnte. Nach Null Uhr kamen die Geburtstagsgäste und wir haben bis drei Uhr morgens geredet, getanzt, gelacht und kalten Apfelsekt getrunken.

Die verbleibende Zeit meiner Sommerferien verbringe ich mit Immanuel, dem Priester im Seminar oder Spaziergängen über den Markt. Ich halte mit ihm den Garten in Ordnung, spiele Schach, verzehre die Reste der Silvesterfeier und genieße dazu immer mal wieder ein Bier.

Bei meinen Rundgängen auf dem Markt treffe ich regelmäßig auf Bekannte und ich entdecke viele Details, die mir bei der Arbeit mit den Kindern bisher entgangen sind. Es gibt Imbissbuden und kleine Suppenküchen, in denen man für wenig Geld eine warme Mahlzeit bekommt. Frauen laufen mit einem Krug und Plastikbechern über den Markt und bieten frischen Fruchtsaft an. Man sieht die Händler, wie sie zwischen ihrem Gemüse sitzen und eine einfache Reisbrühe essen. Um die Ecke betreibt ein Mann eine öffentliche Toilette. Die Siesta halten viele Händler auf einer Matratze im hinteren Teil ihres Lagers. Wenn ein LKW voller Orangen morgens um vier ankommt, macht der Fahrer es sich nach dem Abladen einfach auf der Ladefläche „gemütlich“. So oder ähnlich übernachten viele auf dem Markt. Vor kurzem habe ich einen
Händler entdeckt, der seinem Kollegen zwischen Maniokhaufen (stärkehaltige Wurzel, wird ähnlich wie Kartoffeln gegessen) vor seinem Lager die Haare schnitt. Der Markt ist eine Welt für sich, erzählte mir Don Theodor, Händler und Küster der Marktkapelle einmal.

Der Sommer wird bald vom Herbst abgelöst. Es erschreckt mich, dass ich bereits die Hälfte meiner MaZ-Zeit abgeleistet habe, in dieser für mich noch immer kleinen Welt in der großen Stadt.

Beste Grüsse aus dem Dschungel

Jan