Freitag, 10. Oktober 2008

Erste Nachricht aus dem Dschungel

Weder das Klima, noch das Essen Paraguays haben mich in den zurückliegenden vier Wochen zur Umkehr bewegen können. Ganz im Gegenteil bin ich fest entschlossen hier zu bleiben, unter anderem weil Loli, unsere ausgezeichnete Köchin, mit ihren Gerichten jeden Gedanken an Heimweh im Keim erstickt. Auch komme ich langsam, aber immer sicherer mit der spanischen Sprache und der landestypischen Aussprache zurecht.

Ich wohne zusammen mit vier Studenten und einem Pater aus Nigeria im Seminar der Spiritaner in Fernando de la Mora1. Drei der Studenten sind Seminaristen, also “Spiritaner in Ausbildung”, der vierte ist Spiritaner-Bruder. Pater Emmanuel aus Nigeria, der auch erst seit einem Jahr hier ist, leitet das Seminar. Das Grundstück, ein relativ großes, ummauertes Gelände, umfasst drei Bungalows, ein kleines Basketballfeld und einen mehr oder weniger kultivierten Garten.

Das Wetter ist sonniger als in Deutschland. Meistens ist der Himmel strahlend blau oder nur mit einigen weißen Wolken durchsetzt. Es regnet sehr selten, und wenn, dann nur einen Tag oder sogar nur einen halben. Deswegen muss im Garten auch der Rasen regelmäßig gegossen werden, sonst geht er schnell ein und es kommt die sandig, rote Erde zum Vorschein.
Die Stadt Fernando de la Mora ist vollkommen mit dem eineinhalb Millionen Hauptstadtdschungel Asuncions verwachsen. Es gibt immer und überall Leben: Menschen sind unterwegs, es wird ge- und verkauft, gearbeitet, Pause gemacht und zur Schule gegangen. Auch nachts wird es nie so richtig still.

Am lautesten sind die Busse, das Fortbewegungsmittel Nummer Eins. Sie werden meistens von Privatunternehmen betrieben, sind alt und qualmen. Einige Busse tragen nicht einmal Liniennummern und welche Route sie fahren erkennt nur der Eingeweihte an der Busfarbe. Sich durch diesen Jungle zu schlagen ist oft genauso kompliziert und abenteuerlich, wie sich an Lianen von Baum zu Baum zu schwingen.

Vor kurzem musste ich beim Umsteigen eine Seitenstraße passieren. Dort fragte mich eine Frau an der Straße nach der Uhrzeit. Nichts Böses ahnend, zeigte ich ihr meine Uhr. Sie blickte kurz darauf, um dann meine Hand zu ergreifen, mir tief in die Augen zu blicken und mir sehr offensiv ihre “Liebesdienste” anzubieten. Leider hatte ich keine Zeit und musste das Angebot ausschlagen. Ich erklärte ihr also höflich, dass ich meinen Bus erreichen müsse und nicht interessiert sei. Davon ließ sie sich aber keineswegs irritieren, hielt meine Hand weiter fest und versuchte, mich zu überzeugen zu bleiben, auch wenn es nur kurz sei. Da sie sich von meinen Argumenten derart unbeeindruckt zeigte, wusste ich keinen anderen Ausweg, als mich einfach zu verabschieden, meine Hand sehr bestimmt ihrem Griff zu entziehen und geschwind meiner Wege zu gehen.

Das Leben im Seminar ist eher ruhig und geregelt. Man sieht sich hauptsächlich zu den Gebets- und Mahlzeiten. Abends wird entweder gemeinsam etwas unternommen oder die Seminaristen führen, als Teil ihrer “Ausbildung”, Gespräche mit dem Pater. Während tagsüber jeder seiner Beschäftigung nachgeht. Für die Anderen bedeutet das hauptsächlich studieren, für mich bedeutet das Spanisch lernen und von Tag zu Tag mehr Zeit auf dem nahe gelegenen Marktplatz
zuzubringen. Dort, auf dem “Mercado Abasto” arbeite ich mit einer Gruppe aus Spiritanern und
engagierten Freiwilligen aus der Nachbarschaft. Die Gruppe nennt sich Gotas de Amor (Tropfen der Liebe). Wir spielen mit den Kindern und lernen mit Ihnen, bzw. machen zusammen mit Ihnen Hausaufgaben. Außerdem wird mindestens einmal die Woche Mittagessen ausgeteilt.

Seit drei Wochen besuche ich samstags morgens mit Francisco, einem der Seminaristen, eine Familie mit 8 Kindern, die hinter dem Markt in einer Wellblechhütte lebt. Der Vater baut Holzkisten zusammen, die er dann an die Händler auf dem Markt verkauft. Mit den Kindern lernen wir rechnen und schreiben.

Ich lerne immer mit der 7jährigen Hermelinda. Sie soll als Hausaufgabe eigentlich bereits Sätze und einfache Diktate schreiben. Aber dazu sind wir bisher nicht gekommen, weil Hermelinda überhaupt noch nicht schreiben kann. In der Schule sind die Klassen sehr groß und viele lernen nie richtig lesen und schreiben. Francisco hat mir erzählt, dass er selbst die Schule beendet hat, ohne ein Buch lesen zu können. Deswegen lerne ich mit Hermelinda die Bedeutung von Buchstaben und Zahlen. Sie schreibt zum Beispiel eine ganze Zeile nur “4” und soll dabei möglichst oft die Zahl
vier aussprechen. Zusätzlich übe ich mit ihr das zählen mit den Fingern. Nach dem Lernen spielen wir natürlich auch noch ein wenig. Die Kinder besitzen hervorragende Drachen, die sie aus Schnur, Stöcken und Plastikfolie selber bauen. Die lassen wir dann gemeinsam auf einer freien Fläche hinter dem Markt steigen.

So vergehen meine Tage bisher wie im Fluge und an jedem einzelnen davon erlebe ich etwas Neues hier, in dieser für mich noch kleinen Welt in der großen Stadt.

Beste Grüße aus dem Dschungel
Jan