Mittwoch, 1. April 2009

Vierte Nachricht aus dem Dschungel

Vor zwei Wochen begann die Fastenzeit in Paraguay wie auch in Deutschland. Im Seminar verzichten wir, außer sonntags, auf Fleisch. Aber darüber bin ich nicht traurig.

In Paraguay ist Fleisch erkennbar günstiger als in Deutschland, besonders Rind. Auf dem Land ist Rindfleisch das Grundnahrungsmittel der Kleinbauern und damit des Großteils der Campesinos (“Ländler”). Die “Großstädter” in meinem Viertel leben seit höchstens einer Generation in der Stadt und haben alle noch Verwandte auf dem Land. Don Medina, ein befreundeter Tischler erzählte mir, dass es keine 500m von hier vor 20 Jahren noch zwei große Weingüter mit Ländereien gab. Zu guter Letzt kommen die Seminaristen alle vom Land, weil die Spiritaner dort am aktivsten sind. Es ist ein Teil der paraguaischen Kultur, zwei Mal am Tag – sechs bis sieben Tage die Woche – warm und Fleisch zu essen.

Im letzten Jahr bin ich mit meinem sehr europäischen Vorschlag, doch etwas weniger Fleisch zu essen, sowohl bei den Seminaristen, als auch bei Immanuel – Priester aus Nigeria - auf Unverständnis gestoßen. Meine Argumente waren: Fleisch sei teuer und in Mengen gar nicht so gesund. Ihre einheitliche Antwort: Fleisch sei gar nicht so teuer und auf Fleisch würde man verzichten wenn man krank sei oder eine Diät halten müsse. Essen ohne Fleisch habe zu wenig Geschmack. “Andere Länder, andere Sitten”. Das sagt sich einfach, es aber auch zu akzeptieren und zu verstehen dauert eine Weile. So oder so bin ich über die “Probezeit als Vegetarier” eher froh als traurig.

In der letzten Rundmail habe ich von der Geburtstagsfeier des nigerianischen Priesters Immanuel berichtet. Diese war nicht ganz typisch. Ebenso wenig wie meine eigene: An meinem Geburtstag (im November) haben mich die Seminaristen mit einem Silvesterkracher, den sie vor meinem Fenster zündeten, geweckt. Aber nur um mich mit einem Ständchen abzufangen, als ich einen Moment später erschrocken und noch immer im Pyjama aus meinem Zimmer gestürzt kam. Danach haben wir Gebäck gefrühstückt. Zum Abendessen habe ich zum ersten Mal den typisch deutschen Schweinbraten zubereitet, der auch an Immanuels Geburtstag zum
Einsatz kam – zu meinem Geburtstag gab’s dazu typisch deutsches Sauerkraut und zwei Flaschen echtes Erdinger Weißbier. Beides habe ich in einem großen Supermarkt gefunden. Das deutsche Mahl haben wir ganz gemütlich und in kleiner Runde: der Priester, die Seminaristen und ich, verspeist.

Die erste paraguayische Geburtstagfeier, die ich erlebt habe, war die von Raquel. Sie wurde 32. Die Feier begann am späten Nachmittag mit einem traditionellen Assado im Hof vor Raquels Haus.

Assado bedeutet Grillen. Nur wird das Assado etwas ursprünglicher zubereitet als man es von der deutschen Grillkultur gewohnt ist. Anstatt eines vom Metzger gewürzten Koteletts oder Steaks bekommt man einen kräftig gesalzenen und kross gebratenen Berg Rinderrippe auf den Teller. Dazu wird etwas Salat, Maniok und Sopa Paraguaya (etwa: Maisauflauf) serviert.

Nach dem Essen haben wir ausgiebig getanzt und gegen Mitternacht wurde der Nachtisch serviert: eine klebrig süße Sahnetorte. Auf der Torte brannten zwei Kerzen in Form einer 5 und einer 8. Und während ich mich noch wunderte, ob Raquel denn wirklich schon so alt sei, beugte Raquel sich vor, um die Kerzen auszupusten, als jemand ihr just in diesem Moment einen Stoß versetzte und sie dezent mit dem Gesicht in die Sahne titschte, zum Glück neben den Kerzen.

Ich war erschrocken, geradezu peinlich betroffen und rechnete mit einer für alle Anwesenden unangenehmen Unterbrechung der bis dahin schönen Feier. Doch zu meiner Überraschung und Erleichterung geschah nichts dergleichen. Die Gastgeberin wischte sich die Sahne lachend mit einer Serviette aus Gesicht und Haar, pustete die Kerzen aus und zerschnitt die Torte. Danach tanzten wir alle fröhlich weiter.
Auf mehreren anderen Geburtstagen sah ich “den Stoß” wieder und ich habe ihn inzwischen als Kultur akzeptiert und kann herzhaft mitlachen.

Eine weitere paraguaische Besonderheit ist das Guarani. Diese Sprache hat sich aus den indigenen Ursprachen der Guarani-Tupi Familie entwickelt und ist in Paraguay zweite Amtssprache. Obwohl insgesamt nur wenige Schriftstücke in Guarani verfasst sind und hauptsächlich Intellektuelle in Guarani lesen und schreiben können, ist diese Sprache besonders auf dem Land weit verbreitet. Während in unserem Viertel hauptsächlich Spanisch gesprochen wird und es auch einige gibt, die kaum Guarani können, wird es auf dem Markt überall gesprochen. Das stellt mich immer wieder vor Probleme. Inzwischen kann ich zwar die Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln, aber viele Kleinigkeiten, Gespräche und Neckereien zwischen den Kindern entgehen mir.

So vergehen meine Tage in der Hitze des paraguaischen Sommers. Und ich lerneimmer wieder Neues kennen in dieser großen Stadt.

Beste Grüße aus dem Dschungel

Jan

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